„Oh, und was für ein guter Mensch“, dachte Stella. Laut sagte sie zu dem Mann:
„Freundschaft ist auch eine Art Arbeit. Das Prinzip „Wie du mir, so ich dir“ funktioniert hier nicht. Man muss geben können, ohne von den Menschen eine Gegenleistung zu erwarten. Dann kommt auch ein gutes Resultat. Nicht alles ist käuflich. Am wenigsten die Freundschaft!“
„Sie sind eine wahre Philosophin!“
„Nein, ich bin Linguistin.“
„Wie interessant! Welche Sprachen können Sie?“
„Englisch, Deutsch, Russisch, etwas Ukrainisch.“
„Bei uns in Lugansk kann auch fast keiner Ukrainisch, obwohl die Stadt zur Ukraine gehört.“
„Oh! Lugansk? Das ist eine tolle Stadt! Dort war ich auch schon mal.“
„Ich bin ein einfacher Polizist und suche hier einen Job.“
„Merkwürdig, dass Sie auf der Jobsuche gerade nach Charkow gekommen sind. Ich glaube nicht, dass die Löhne hier so hoch sind. Die Gastarbeiter gehen lieber nach Russland.“
Ihr war das Herz in die Hose gerutscht.
„Sie haben recht. Aber ein Freund von mir ist hierher versetzt worden und hat mich und meine Familie hergerufen. Er sagt, hier gäbe es mehr Chancen, befördert zu werden.“
Verdammt! So eine Scheiße! Ein Bulle! Und noch dazu aus meiner Heimatstadt!“
„Ich glaube, die Vermieterin wäre mit so einem zuverlässigen Mieter sehr zufrieden. Ich dachte sogar schon, Ihnen allein würde sie die Wohnung vielleicht gar nicht vermieten. Sie hätte lieber ein Paar oder eine Familie als einen alleinstehenden Mann, weil ledige Männer zu Ausschweifungen neigen, und das kann allerlei Ärger geben.“
„Ach was! Ich bin Ehemann und Vater! Und ein anständiger Bürger! Meine Ehefrau kommt bestimmt mindestens zweimal im Monat zu Besuch.“
„Das ist doch schön. So, wir sind da.“
Natalja stand in der Küche und briet Kartoffeln, als ob ihr die Wohnung wirklich gehörte. Es war ein ausgezeichneter Trick zur Ablenkung. Sie trug eine Schürze und hielt eine geschälte Zwiebel in der Hand.
„Genial“, dachte Stella. Nataljas spontane Schlauheit und ihr Improvisationstalent beeindruckten Stella immer wieder.
„Guten Tag!“ Nata lächelte über das ganze Gesicht. Ihr Brustansatz war wie zufällig im Ausschnitt der Schürze zu sehen.
Der Mann ließ diese Tatsache nicht unbeachtet. Seine Haltung wurde aufrecht, als ob er seine Ernsthaftigkeit zeigen wollte.
„Jetzt haben wir dich, Täubchen!“, dachte Stella.
Sie atmete endlich ihre ganze Anspannung mit einer Wolke Zigarettenrauch aus. „Da ist er wieder! Der schreckliche Charakter der Männer! Sie bleiben anständige Familienväter bis zu dem Augenblick, in dem sie schöne Titten zu sehen bekommen. In Wirklichkeit leben alle guten Frauen allein. Ich glaube, es dauert nicht mehr lange, bis die Frauen einfach allein leben wollen. Sie gehen abends aus dem Haus, um ihre Triebe zu befriedigen, kommen dann entspannt zurück und verbringen den Abend in Ruhe vor dem Fernseher oder bei irgendeinem anderen Hobby. Das Leben mit Mann bringt nur jede Menge zusätzliche Pflichten und raubt einen Haufen wertvolle Zeit und Ruhe. Und zum Dank bekommen wir Frauen nur Vorwürfe und Untreue.“
„Stella! Komm rein! Was stehst du da wie versteinert?“
„Entschuldige, Natalja. Ich habe gerade über Feminismus nachgedacht. Ich rauche noch fertig und komme rein.“
In der Küche herrschte eine lebhafte Unterhaltung. Natalja hatte die Schürze schon ausgezogen und trug nur noch ein kurzes Kleid. Sie beugte sich über den Bullen und zeigte ihm, wo er seine Passdaten eintragen sollte.
„Bitte nicht so schnell“, sagte er höflich.
„Entschuldigen Sie bitte, aber Sie schreiben so langsam, dass ich schon Angst habe, meinen Flug nach Tschita zu verpassen. Können Sie sich bitte beeilen?“