In Moskau angekommen gingen die Mädchen gleich, sich die Wohnung anzuschauen, die sie im Voraus reserviert hatten.
Die Bude sah anständig aus. Sie lag in der Nähe der U-Bahnstation Otradnaja. Es gab zwei Zimmer mit Balkon und eine separate Küche. Die Fußbodenheizung stellte in einer so kalten Stadt wie Moskau einen besonderen Vorteil dar.
„Wie lange wollen Sie hier wohnen?“, fragte die Maklerin.
„Mindestens zwei Monate. Das hatte ich Ihnen doch am Telefon gesagt.“
„Gut. Aber ich muss das Datum Ihres Auszugs zehn Tage im Voraus wissen.“
„Wir melden uns, wenn es so weit ist. Danke.“
Als sich die Tür hinter der Maklerin schloss, umarmten sich die Mädchen und hüpften vor Glück herum. Sie redeten überschwänglich von der Zollkontrolle an der Grenze zwischen der Ukraine und Russland. Unterwegs hatten sie keine Möglichkeit gehabt, dieses empfindliche Thema unter vier Augen zu besprechen.
„Ich war kurz vorm Herzinfarkt, als der Zollbeamte meinen Pass anstarrte wie die Mona Lisa.“
„Mein Herz hat eine Minute ausgesetzt! Ich habe mich schon auf einer kalten Knastpritsche gesehen.“
„Es gab wenig Licht an der Grenze und der Zollbeamte war schläfrig oder ganz betäubt von dem Gestank im Bus.“
„Tja, dieser Gestank hat uns geholfen, ohne böse Überraschung über die Grenze zu kommen.“
„Ich habe echt Angst gehabt. Wir sind ja Verbrecherinnen. Früher oder später finden sie uns auch in Russland.“
„Das wird sie aber schon etwas Mühe kosten“, erwiderte Natalja.
„Weißt du, ich würde inzwischen auch einen Japaner heiraten, wenn ich nur nicht ins Gefängnis muss.“
„Erzähl mir keine Horrorstorys. Ich würde lieber in den Knast gehen, als einen Japaner zu heiraten.“
„Nur gut, dass ich nach Genf gehe. Dort leben wenigstens normal große, weiße Menschen mit richtigen Augen. Schade, dass du nicht mitkommst. Das wirst du eines Tages bereuen.“
„Ich kann nicht so schnell und plötzlich nach Genf. Das wäre für mich der Horror gewesen.“
Bis die Dokumente fertig waren, fickte Natalja die Hälfte der männlichen Bevölkerung Moskaus durch.
Stella kam mit ihr mit, lernte einen sympathischen Jungen kennen und zog mit ihm durch die Klubs oder von einer Party zur anderen. Natalja konnte zuerst kaum glauben, dass Stella nicht mehr so langweilig war und das Klugscheißen aufgegeben hatte. Im Gegenteil, sie gab mit einem Mal ordentlich Gas. Außerdem lernte Stella Japanisch. Sie begann mit ein paar Sätzen, die eine Frau braucht. Ihre Schuhgröße zum Beispiel, siebenunddreißig, hieß auf Japanisch „san ju nana“. Dazu kamen viele andere Wörter, bei denen es meistens um die Bestellung von Speisen und Getränken im Restaurants ging. Sie fand diese Sprache cool, wenn auch ein bisschen ulkig.
Natalja lernte Französisch. Sie plauderte per Skype mit allen möglichen Franzosen rund um den Globus in der Hoffnung, eine der schwierigsten Sprachen der Welt zu erlernen. Das wollte sie so schnell wie möglich erledigen und kam dabei sehr gut voran. Natalja versprach jedem im Chat, gerade ihn bald in Frankreich zu besuchen. Natürlich freuten sich die Männer auf diese Aussichten und übten mit der schönen Gaunerin stundenlang ihre Sprache. Wie immer lief alles unter ihrem Motto: Alle sind Scheiße, und ich bin Königin!
Die Mädchen nutzten ihre Zeit in der russischen Hauptstadt gut. Mehr als fünfzehn Geschäfte nach fast dem gleichen Schema fädelten sie ein. Aber die Maßstäbe in Moskau waren schon um einiges größer. Statt Wohnungen vermieteten sie ganze Arbeiterhostels. Kaum waren die Bewohner zur Arbeit gegangen, brachten sie neue Brigaden auf deren Plätze. Die Unterkünfte wurden schnell bezogen, den Mietern legten sie gefälschte Eigentumsdokumente vor. Gewöhnlich achteten die Leute nicht besonders auf die Echtheit des Notarsiegels oder Stempels. Es wäre aber hilfreich, den Menschen beizubringen, wie man solche Situationen vermeidet, in die sie meist durch ihren eigenen Leichtsinn geraten. Seit damals sind mehr als zwölf Jahre vergangen. Inzwischen sind die Menschen vorsichtiger geworden. Es gibt nun Überwachungssysteme, Kameras, kurzum, Fortschritt.