Natalja stand aus dem Schaukelstuhl am Kamin auf, ging ins Haus, nahm aus dem Kühlschrank eine Flasche Weißwein, schenkte zwei Gläser ein, reichte eines der Freundin und fing an zu singen:

„Oh du böses Schicksal,
Schau dich nur um!
Mein Leben ist keinen Groschen wert,
Es geht bergab.
Ich zerbreche mir den Kopf,
Aber ich werde klüger!
Ich erfahre, was schrecklicher ist,
Tod oder Knast…“

„Mein Gott! Was singst du da? Soll ich einen Herzinfarkt kriegen?“

„Ich will, das du lächelst.“

Stella nippte an ihrem Wein und sagte mit einem Lächeln:

„Danke, Liebes. Du hast mich von trüben Gedanken abgelenkt.“

„Vorsicht! Trübsal führt zu Alkoholismus.“

„Dann muss ich wohl oft betrübt sein.“

„Am kränksten wird ein Russe durch eine gesunde Lebensweise.“

„Fall nicht ins Koma bei dem Gedanken, dass du ein halbes Jahr von Zwergen statt von Schweizer Millionären gevögelt wirst! Hahaha!“

„Dabei braucht man nicht ins Koma zu fallen!“

In der Dunkelheit erschallte ein so lautes Lachen, dass in manchen Häusern das Licht eingeschaltet wurde und Hunde zu bellen begannen.

„Jag deine philosophischen Gedanken weg, Stella! Die sind so unlogisch. Dabei dachte ich früher, dass gerade du eine große Strategin wärst.“

„Bring mich nicht zum Lachen. Lass mich ein bisschen traurig sein!“

„Wollen wir zusammen traurig sein? Sag, was du gerade denkst!“

„Ich denke darüber nach, wie ich mit den Schlitzaugen reden soll. Ich muss mir wohl ein Wörterbuch kaufen und diese verdammte Schrift lernen.“

„Du bist dumm, Stella! Hast du das alles etwa nötig? Du willst ans andere Ende der Welt fliegen und ein halbes Jahr lang weder Geld noch normale Männer haben. Schau mal, wo ich hinfahre! Nach Genf! Liebe mich auf Französisch, Junge! Es kostet dich nur tausend Mäuse! Das ist der Preis! Sie bekommen kein Rabatt, Monsieur! O là là!

„Haha! Du bist auch nicht schlauer, Natalja!“

„Wollen wir unsere Abreise nach Moskau planen? Weg mit den trüben Gedanken!“

„Das ist eine prima Idee.“

Am nächsten Morgen fingen die Mädchen an, auf der Suche nach einer Wohnung systematisch die Moskauer Immobilienmakler anzurufen. Nachdem sie die Mietpreise in der russischen Hauptstadt kennen gelernt hatten, waren die beiden Freundinnen bald gar nicht mehr abgeneigt, zusammen zu wohnen. Trotzdem bereitete sich jede von ihnen auf den herankommenden Tsunami vor, auch wenn keine darüber sprach.

„Dies darfst du nicht, lass das sein! Diese langweilige Stella macht mich noch verrückt!“

Selbst Saweli mit seinen endlosen Geschichten und das Studentenwohnheim erschienen ihr zu diesem Zeitpunkt als bessere Alternativen zu einem Leben unter der Aufsicht von Gestapo-Stella.

Stella erlebte eine Art Explosion der Emotionen. Dabei wollte sie eigentlich dasselbe: Männer, Sex, Drogen, Rock 'n' Roll. Sie war nervlich am Ende und dachte, dass ihre Reise ins Land der Zwerge ihre letzte sein würde. Man würde sie zwingen, Dinge zu tun, die sie nicht wollte. Sie sollte jede Nacht arbeiten und saufen – das hielt sie für eine völlig unsinnige Zeitverschwendung ohne jede Hoffnung auf Entwicklung, etwas für Schwachsinnige. Sie gehörte nicht zu denen, die sich dem Willen ihres Chefs beugen oder brav und pünktlich zur Arbeit kommen. Es schien, dass dieser Weg zum vollständigen Zerfall ihrer Persönlichkeit, zur Auflösung all ihrer Ideale und Prinzipien führen würde. Stella beschloss, es sich bis zur Abreise noch einmal gut gehen zu lassen und das Leben in vollen Zügen zu genießen. Dabei goss Natalja Öl ins Feuer und sparte nicht mit komischen Sprüchen:

„Du wirst einen Japaner heiraten und einen engstirnigen kleinen Jungen mit dem winzigsten Pimmel der Welt gebären. Hahaha!“