„So. Ich muss dir noch alles über den Flug erzählen. Wir bestellen Tickets mit Umsteigen in München und in Fukuoka. Das richtige Gate würdest du doch finden, oder? Sprichst du Englisch?“

„Ja.“ Damit habe ich kein Problem.“

„Hier hast du das ganze Unterlagenpaket. Oh, hätte ich fast vergessen! Um dein Visum zu bekommen, musst du nach Moskau. Und der Flug nach Japan startet von dort aus.“

„Ok. Ich bin einverstanden.“

„Womit bist du einverstanden, Stella? Mit Moskau? Wir dürfen doch nicht über die Grenze und zurück!“

„Zurück will ich nicht. Möchtest du nicht ein paar Monate in Moskau verbringen, Natalja? Und dann von dort aus fliegen?“

„Geht das denn? Natürlich will ich das! Keine Frage! Moskau, ich komme! Freu dich auf deinen Star!“

„Abgemacht“, antwortete Stella mit einem Lächeln. Sie war zufrieden, dass Natalja ihre Idee ohne besondere Erklärungen und Fragen aufgegriffen hatte.

Erst jetzt begriff Stella, dass die Beziehung zwischen ihnen beiden während dieser ganzen Zeit fast verwandtschaftlich geworden war.

„Wo auf der Welt findet man den Menschen, der einen auf Anhieb versteht? Natalja weiß, in was für einer Situation wir stecken. Uns droht Gefängnis. Moskau ist keine schlechte Option für Leute, die untertauchen wollen. Dort wird uns ganz sicher niemand suchen. Vielleicht wäre es besser, mit ihr zusammen nach Genf zu gehen?“, fiel ihr ein. Aber schon im nächsten Augenblick gewann die Vernunft wieder die Oberhand über Stellas Schwäche. „Oh nein! Du solltest eine Pause von dieser Beziehung nehmen!“ Da sprach plötzlich ihr zweites, nüchternes Wesen.

„Wieso bewegst du die Lippen, Stella? Du siehst aus wie ein Fisch.“

„Ich rede mit meinem Schatten.“

„Frag ihn doch, ob er tanzen kann. Und ob er mit mir nach Genf fährt. Oder ist er genau so blöd wie du?“

„Lass mich in Ruhe!“

Die Arbeit mit Natalja im Notariat war ein ständiger Stress gewesen. Hätte Stella allein ihre Gaunereien betrieben, hätte niemand sie je entlarvt. Aber wer weiß, was und wie noch alles passieren könnte. Natalja hatte sie immer unterstützt und ihr auch mit ihrem Wissen weitergeholfen.

Darja unterbrach Stellas Gedankengang.

„Also, Mädels, ich muss gehen. Unterschreibt bitte die Papiere und bleibt in Kontakt. Danke.

„Danke dir für alles, Darja! Bitte entschuldige, wenn wir zu viel geredet haben.“

„Ach was! Es war doch ein angenehmer Abend. Ihr seid echt cool!“

„Und Kohle hast du auch gemacht! Hick, hick!“ Es war Nataljas Stimme. Ihre Worte wurden von Schluckauf unterbrochen. Stella errötete. Wie immer schämte sie sich für ihre Freundin. Es entstand der Eindruck, dass sie sich für Nataljas Verhalten schämen musste, weil dieser das entsprechende Gefühl gänzlich fehlte. Man sagt doch, die Menschen müssen einander ergänzen.

Lange saßen die Freundinnen schweigend beisammen, als ob sie Abschied voneinander genommen hätten. Merkwürdigerweise drängten sich ähnliche Gedanken in den Köpfen beider Mädchen.

„Wie wird es sein, allein in ein fremdes Land zu fliegen? Was erwartet uns? Werden die Veränderungen positiv oder negativ ausfallen?

Werden wir am Flughafen verhaftet, bevor wir ins Ausland fliegen?“

Leider blieben diese Fragen ohne Antwort.

So viel war in dieser Zeit passiert: Höhen und Tiefen, Lustiges und Trauriges, Liebe, Glück und Leid. Nun lagen vor ihnen andere Länder und Städte! Japan und die Schweiz oder schwedische Gardinen und Häftlingssuppe.

Plötzlich erinnerte sich Natalja an Zeilen aus einem Lied von Iwan Kutschin, das einer ihrer Kunden gesungen hatte. Der kahlköpfige Knastbruder hatte eine Strafe für Betrug, und zwar besonders schweren Betrug, abgesessen.