Eine unbezwingliche Sehnsucht ergriff mich.

Ich stieg empor und umschlang den schönen kalten Leib und küsste die kalten Lippen. Da sank ein tiefer Schauer auf mich herab und ich entfloh. Und im Traum war es mir, als stünde die Göttin vor meinem Lager und drohe mir mit erhobenem Arm.

Man schickte mich frühzeitig in die Schule. So kam ich bald an das Gymnasium und ergriff alles mit Leidenschaft, was mir die antike Welt zu erschließen versprach. Ich war bald mit den Göttern Griechenlands vertrauter als mit der Religion Jesu. Ich gab mit Paris Venus den verhängnisvollen Apfel. Ich sah Troja brennen und folgte Odysseus auf seinen Irrfahrten. Die Urbilder alles Schönen senkten sich tief in meine Seele. So zeigte ich zu jener Zeit, wo andere Knaben sich roh und unflätig gebärden, einen unüberwindlichen Abscheu gegen alles Niedere, Gemeine, Unschöne[22]. Als etwas ganz besonders Unschönes erschien dem reifenden Jüngling die Liebe zum Weib. Ich mied jede Berührung mit dem schönen Geschlecht, kurz, ich war übersinnlich bis zur Verrücktheit.

Meine Mutter bekam – ich war damals etwa vierzehn Jahre alt – ein reizendes Stubenmädchen, jung, hübsch, mit schwellenden Formen. Eines Morgens, ich studierte meinen Tacitus und begeisterte mich an den Tugenden der alten Germanen, kehrte die Kleine bei mir aus. Plötzlich hielt sie inne, neigte sich, den Besen in der Hand, zu mir, und zwei volle frische köstliche Lippen berührten die meinen. Der Kuss der verliebten kleinen Katze durchschauerte mich. Aber ich erhob meine ›Germania‹ wie ein Schild gegen die Verführerin und verließ empört das Zimmer.»

Wanda brach in lautes Lachen aus. «Sie sind in der Tat ein Mann, der seinesgleichen sucht. Aber fahren Sie nur fort.»

«Eine andere Szene aus jener Zeit bleibt mir unvergesslich», erzählte ich weiter. «Gräfin Sobol, eine entfernte Tante von mir, kam zu meinen Eltern auf Besuch. Eine majestätische schöne Frau mit einem reizenden Lächeln. Ich aber hasste sie, denn sie galt in der Familie als eine Messalina. Sie benahm mich so unartig, boshaft und täppisch, wie nur möglich gegen sie.

Eines Tages fuhren meine Eltern in die Kreisstadt. Meine Tante beschloss ihre Abwesenheit zu benützen und Gericht über mich zu halten. Unerwartet trat sie in ihrer Veste herein. Die Köchin, Küchenmagd und die kleine Katze folgten ihr. Ohne viel zu fragen, ergriffen sie mich trotz meiner heftigen Gegenwehr. An Händen und Füßen. Dann schürzte meine Tante mit einem bösen Lächeln den Ärmel empor. Sie begann mich mit einer großen Peitsche zu hauen. Sie hieb so tüchtig, dass Blut floß. Ich schrie und weinte zuletzt, trotz meinem Heldenmut und um Gnade bat. Sie ließ mich, aber ich musste ihr kniend für die Strafe danken und die Hand küssen.

Nun sehen Sie den übersinnlichen Toren! Unter der Peitsche der schönen üppigen Frau, welche mir in ihrer Pelzjacke wie eine zürnende Monarchin erschien, erwachte in mir zuerst der Sinn für das Weib. Meine Tante erschien mir als die reizendste Frau auf Gottes Erdboden.

Meine katonische Strenge, meine Scheu vor dem Weib war eben nichts, als ein auf das Höchste getriebener Schönheitssinn. Die Sinnlichkeit wurde in meiner Phantasie jetzt zu einer Art Kultur. Und ich schwur mir, ihre heiligen Empfindungen ja nicht an ein gewöhnliches Wesen zu verschwenden. Sondern spare ich für eine ideale Frau auf, womöglich für die Liebesgöttin selbst.

Ich kam sehr jung an die Universität und in die Hauptstadt, in welcher meine Tante wohnte. Meine Stube ähnelte mein Zimmer damals dem Zimmer von Doktor Faust. Alles stand in derselben wirr und kraus, hohe Schränke mit Büchern vollgepfropft. Ich habe sie um Spottpreise bei einem jüdischen Antiquar in der Servanica erhandelt. Globen, Atlanten, Phiolen, Himmelskarten, Tiergerippe, Totenköpfe, Büsten großer Geister. Hinter dem großen grünen Ofen konnte jeden Augenblick Mephistopheles als fahrender Scholast hervortreten.