Natalja war von dem neuen Hobby sehr begeistert. Sie nahm gern an den Theateraufführungen und dabei im Gespräch mit den Kunden auch noch ihre Sprachkenntnisse zu erweitern. Sie begann sogar einen Liebesbriefwechsel mit einem Franzosen, der in Genf in der französischsprachigen Schweiz in Genf wohnte. Um genau zu sein war seine Mutter Französin und der Vater war Iraner. Der hochgewachsene, gutaussehende, schwarzhaarige Mann besuchte Natalja oft. Sie versteckte ihn vor der aufdringlichen Stella, damit diese ihm kein amüsantes Spektakel vorführte, wie sie es bei ihren Kunden tat, mit Beerdigung, Hochzeit und ähnlichem. Sie erinnerte sich noch an einen lustigen Vorfall.

Bei einer der Aufführungen von Stellas Theatertruppe kam die Schauspielerin nicht, die die Mutter der Braut darstellen sollte. Natalja spielte die Braut, Stella deren Schwester. Die Hochzeit war gefälscht. Die Namen waren geändert worden. Die Gäste und selbst das Standesamt mitsamt der ganzen Zeremonie waren Teil der Aufführung, die Stella klug durchdacht hatte.

Für alles zahlte natürlich der Bräutigam aus der Schweiz. Es wurde angeblich als Geschenk für die Schwester seiner zukünftigen Ehefrau arrangiert. Die Hochzeit kostete 10.000 Dollar. Natürlich stimmte er nur widerstrebend zu, denn anfangs war nur von ein paar Tausend die Rede. Aber ihre armen Verwandten! Da blieb ihm nichts anderes übrig. Was tut man nicht alles für die Liebste, wenn sie bittet.

„Wo ist denn Ihre Mutter?“, fragte der Schweizer verwirrt.

„Sie ist wohl aufgehalten worden, oder sie ist so aufgeregt, dass ihr schlecht geworden ist. Ich schaue mal zu Hause nach.“

„Verdammt! Wo ist die blöde Kuh?“, sagte Stella Natalja ins Ohr. Vielleicht wollte sie, dass niemand sie hörte.

„Ich weiß nicht. Einfach abgehauen. Sie will wohl nicht unsere Mama spielen.“

„So eine Schlampe! Gerade vor der Unterschrift! Bestes Timing! Was jetzt? Wir müssen eine andere finden! Der Bräutigam hat sie noch nicht gesehen. Also kann es irgendjemand sein. Such! Schnell!“ Egal wo! Ich unterhalte inzwischen die Leute.“

Natalja rannte los, ihre Mutter suchen. Sie bot den ersten besten Frauen auf der Straße Geld an und bat sie, für ein paar Stunden ihre Mutter zu spielen. Aber es war gar nicht so einfach. Die Frauen wichen vor ihr zurück wie vor einer Wahnsinnigen. In einer Unterführung sah sie eine Bettlerin. Sofort lief sie zu ihr und erzählte, was sie vorhatte.

Die Frau öffnete vor Überraschung den Mund, aus dem es nach Aas roch. Natalja trat einen Schritt zurück und befahl:

„Mutter, mach dich bereit!“

Als sie den Betrag nannte, den die Bettlerin erwarten könnte, vergaß diese alle Zweifel und folgte schleunigst der schönen Tochter.

„Stella bringt mich um für so eine Mutter!“, sagte Nata laut ohne Rücksicht auf die Passanten. Was jetzt? Sie schaute auf die Uhr und beschloss, das Mütterchen in der nächsten Boutique aufzupeppen. Ein Kleid musste her! Man war ja nicht jede Woche Brautmutter!

Nach einer Stunde brachte sie die Pennerin mit gelben Fingernägeln und faulen Zähnen, ausstaffiert mit einem gefälschten Gucci-Kleid, ins Restaurant, wo die Hochzeit gefeiert wurde.

Beim Anblick der Strolchin verschlug es vielen Gäste die Sprache. Der Schweizer zog bloß ratlos eine Augenbraue hoch, Stella dagegen erstarrte. Und plötzlich rief die Scheuche, die nur drei Zähne, dafür aber eine gewaltige Fahne hatte, laut in Richtung Stella:

„Guten Tag, Töchterchen!“

Völlig schockiert von diesem Auftritt war der Mann, der die Rolle des Vaters der Mädchen, eines armen, intelligenten Lehrers spielte. Er wurde fast ohnmächtig. Diese Erscheinung sollte seine Frau sein! Der Schweizer brach das Schweigen mit dem schlichten, zurückhaltenden Satz: